Hilberts Olympia-Premiere ist gleichzeitig ein Abschied

Die letzten Trainingskilometer in Erfurt sind absolviert: Auf der Gauder-Runde kennt Jonathan Hilbert inzwischen jeden Stein, jede Pflanze. Von Erfurt ging und geht es die Tage weiter: für den letzten Feinschliff ins Vorbereitungscamp nach Shibetsu, dann weiter nach Sapporo, wo die Geher ihre olympischen Wettbewerb durchführen. Weit weg vom Olympischen Dorf in Tokio. Es wird definitiv etwas fehlen. Aber davon lässt er sich vor seinem Olympia-Debüt nicht aus der Ruhe bringen.

In Frankfurt erfüllte sich für Jonathan Hilbert (LG Ohra Energie) der Traum von seinen ersten Olympischen Spielen in Tokio. Bei den Deutschen Meisterschaften der Geher holte sich der 26-Jährige den Titel über 50 Kilometer. Aber nicht nur den allein. Er stieß mit seiner neuen Bestzeit von 3:43:44 Stunden in die Weltspitze vor, belegt in der Weltrangliste momentan hinter drei Japanern den vierten Platz. Sein erster Olympia-Start wird für ihn in vielerlei Hinsicht ein besonderer, emotionaler und historischer werden. Letztmals stehen die 50 Kilometer im weltweiten Wettkampfprogramm. Im nächsten Jahr wird umgestellt auf 35 Kilometer.

Jonathan Hilbert bremst Euphorie

Dieser DM-Tag in Frankfurt war schon ein ganz außergewöhnlicher. „Man muss einfach realistisch bleiben, dass ich diese Zeit nicht jeden Tag abrufen kann. Mir ist bewusst, ich habe eine gute Form und bin auch im Stande Topleistungen zu bringen. Aber dafür braucht es einen guten Tag, alles muss stimmen“, bremst der gebürtige Mühlhäuser ein wenig die Euphorie. Wenngleich er bei seinen ersten Olympischen Spielen eine gute Balance finden möchte. „Ich will schon eine ordentliche Leistung abliefern und habe nicht vor, im hinteren Feld mitzurollen.“ Wie genau seine Ziele aussehen, darüber hat er in diesen Tagen viel nachgedacht. Die Feinabstimmung erfolgte dann Mitte Juli gemeinsam mit Julia Zanev.

Mit ihr arbeitet er seit dreieinhalb Jahren zusammen. Sie ist Heilpraktikerin und Logopädin. Und sie tut Jonathan Hilbert gut. Sein Erfolg, davon ist er überzeugt, ist auch ein großer Teil auf das mentale Training zurückzuführen. So hat er beispielsweise auf seinem Handy und der Uhr die Olympischen Ringe tagtäglich vor Augen. Sein Traum, sein Ziel. „Das ist ein Erfolgsfaktor, wenn man seine Ziele visualisiert, um sie nicht zu vergessen. Man optimiert dann automatisch seine Handlungen“, berichtet der für die LG Ohra Energie startende Langstrecken-Geher.

Einkleidung, Verabschiedung - Olympische Spiel kein Traum mehr

Es sind dieser Tage viele Puzzleteile, die Jonathan Hilbert realisieren lassen, die Olympischen Spiele sind kein Traum mehr. Sie sind für ihn gelebte Realität. Wie die Einkleidung in Berlin. „Das war wirklich ein schönes Gefühl, die Kleidung anprobiere zu dürfen. Es war nur traurig, dass ich mit leeren Händen nach Hause gefahren bin“, berichtet er. Die Kleidung wurde den Athleten separat in zwei großen Koffern zugeschickt. Dennoch erhielten alle Athleten des Team D eine Jacke, die sie einem besonderen Menschen schenken konnten. „Die Jacke habe ich meinem Vater geschenkt. Meine Mutti musste ich vertrösten, sie bekommt wie meine Freundin Anna ein paar Mitbringsel aus Japan.“ Zuletzt wurde er wie Sprinter Julian Reus vom Thüringer Leichtathletik-Verband in einem entspannten Rahmen im Erfurter Steigerwaldstadion verabschiedet.

Wenn er an den Wettkampftag denkt, empfindet er einerseits Freude, anderseits Wehmut. „Das 50-Kilometer-Gehen ist die längste olympische Disziplin in der Leichtathletik. Das ist schon etwas ganz besonderes. Ich bin stolz und dankbar, diesen Tag als Aktiver miterleben zu dürfen. Das ist fast historisch“, verweist Jonathan Hilbert auf diesen speziellen Aspekt. Die Vorfreude auf seinen ersten Olympia-Start ist in jedem seiner Sätze zu spüren. Nervös ist er indes nicht. „Natürlich ist es ein anderes Feeling, noch dazu mit den strengen Corona-Regelungen. Trotzdem sind es Olympische Spiele, auf die ich mich vorbereite, wie auf jeden anderen Wettkampf auch.“

Drei Wochen Vorbereitung in der italienischen Höhe

Nach 2018 führte ihn der Weg der Vorbereitung ein zweites Mal ins italienische Livigno. Das mehr als dreiwöchige Höhentrainingslager brachte  eine sehr intensive letzte Woche hervor. Sie endete mit 135 Geh-Kilometern. Ebenso war das Rad in diesen Tag ein guter Begleiter. „Es ist wirklich ein gutes Trainingsmittel mit für die Höhen“, berichtet Jonathan Hilbert, der am 22. Juli in den Flieger in Frankfurt stieg. Ziel der Reise: Hokkaido, die nördlichste Insel Japans, wo sich die DLV-Geher an der Ostküste in Shibetsu zwei Wochen akklimatisieren und vorbereiten.

Drei Tage vor dem Start reist der Tross weiter nach Sapporo, wo die Geher ihre olympischen Rennen absolvieren. Wegen der extrem schwülen Sommerhitze in Tokio wurden die Straßenkonkurrenzen ins kühlere Sapporo ausgelagert. Und dort will Jonathan Hilbert am 5. August einen ebenso besonderen wie emotionalen Moment erleben wie bei der DM in Frankfurt. -sam-

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50 Kilometer (5. August; 22.30 Uhr)