Freienorla: „Macke“ bringt Reinhard Ullrich über 1.000 Einsätze

In Thüringen zählt Reinhard Ullrich mit zu den ältesten Kampfrichtern. Im Juli feierte der Freienorlaer seinen 70. Geburtstag. Vor 55 Jahren legte er den Grundstein für seine langjährige ehrenamtliche Tätigkeit als Kampfrichter. Mittlerweile kann er auf über 1.000 Einsätze zurückblicken. Einen kuriosen Einsatz erlebte er bei den Europameisterschaften 2002 in München.

Wink des Schicksals oder Zufall? Schicksalhafte Begegnungen erlebte Reinhard Ullrich zurückblickend so einige in seinem Leben. Da war zum Beispiel sein erster Sportlehrer in Blankenhain. „Was mir im Sport immer am meisten Spaß gemacht hat, das war die Leichtathletik. Mein damaliger Sportlehrer fragte mich eines Tages, ob ob ich nicht Interesse hätte, meinen Kampfrichter zu machen“, erinnert sich Reinhard Ullrich zurück. Das war 1970, er war 15 Jahre. Ein Jahr später zog die Familie nach Bautzen - „das hing mit der Arbeit meines Vaters zusammen“. Erneut war es der Sportlehrer, der auf der Suche nach Kampfrichtern war. „Ich habe mir gesagt, die Ausbildung hast du und habe mich einfach mal gemeldet. Zur Wiederholung habe ich die Ausbildung ein zweites Mal mitgemacht.“

Ins „Kampfrichter“-Geschäft stieg er am 25. April 1971 in Bautzen ein. Als Vorstarter. 1978 wurde er ins Bezirkskampfgericht in Dresden aufgenommen, Mitte der 80er sogar ins Zentrale Kampfgericht der DDR. Zwischendrin folgten Armeezeit in Schwerin (1974 bis 77) sowie ein Studium an der Bergakademie Freiberg (1977 bis 85). Nach dem Ende des Studiums kehrte er nach Thüringen zurück. Als Kampfrichter folgten weitere Qualifikationen als Schiedsrichter, Starter und Gehrichter. „Irgendwann wurde Ende der 90er Jahre der NTO – Nationale Technische Offizielle – eingeführt. Seit 2001 bin ich durchgängig als NTO unterwegs. Alle vier Jahre wird man dazu geprüft“, berichtet er. Zuletzt erwarb er 2024 das internationale Bronze-Level. Die Bezeichnung "Bronze-Level" bezieht sich auf eine Stufe innerhalb eines Systems der World Athletics.

Wettkämpfe: Regional bis Weltbühne

Im TLV zählt Reinhard Ullrich zu einem der ältesten Kampfrichter. Umso schöner, wenn es junge Menschen gibt, die diese Leidenschaft ebenso leben. Als Beispiel nennt er Shirley Riedel. „Sie ist eine sehr gute Bahnfrau. Sie wohnt mittlerweile in Nürnberg, kommt aber immer wieder zu den Wettkämpfen nach Thüringen.“ Was braucht es dafür? Kampfrichterei bedeutet für ihn „Interesse an der Leichtathletik, ein gewisses Maß an Eigendisziplin, Durchhaltevermögen und nicht gleich beim ersten Problem den Kopf in den Sand stecken“. Und natürlich wetterfest sein. „Nicht jeder ist für alles geeignet. Wer Interesse hat, soll sich melden und einfach mal mitmachen. Danach kann er entscheiden, ist es was oder nicht“, sagt der erfahrene Mann. Dafür wird man mit emotionalen wie denkwürdigen Momenten belohnt.

Ob die ganz kleine Bühne oder die Weltbühne: Reinhard Ullrich kann auf mehr als 1.000 Einsätze in den vergangenen 55 Jahren zurückblicken. „Eine Macke braucht der Mensch“, sagt er laut lachend. „Die Leichtathletik hat mir schon immer Spaß gemacht. Je mehr du im Geschäft bist und je höher du als Kampfrichter kommst, desto größer werden die Wettkämpfe und desto voller die Stadien. Das sind Erlebnisse und Erfahrungen, die du nie vergisst“, schwärmt der 70-Jährige von seiner ehrenamtlichen Arbeit. International kann er auf einige Einsätze zum Beispiel 2005 bei den U23-Europameisterschaften in Erfurt, bei den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin als Bahnrichter oder bei den Europameisterschaften 2018 in Berlin und 2022 in München zurückblicken.

München 2002: Kein Bus für Kampfrichter - mit Blaulicht ins Stadion

Als Bahnrichter sowie unterstützend im Gehbereich war er bei den Europameisterschaften 2002 in München eingeteilt. Am Rande ereignete sich eine Geschichte, die für reichlich Aufsehen gesorgt hat. Untergebracht waren die Kampfrichter damals in Unterhaching. „Wir wurden frühs mit dem Bus in das Olympiastadion gefahren, abends wieder in die Sportschule. Für den anderen Tag sollten wir 6.30 Uhr abgeholt werden. Wir saßen den Abend noch lange zusammen, sind erst um 1 Uhr ins Bett und sind an diesem Morgen um 5 Uhr wieder raus. Nach dem Frühstück standen wir pünktlich abfahrbereit vor der Sportschule“, erzählt Reinhard Ullrich. Nur einer kam nicht: der Bus. Dann tauchte zwar ein Bus auf, aber „Only VIPs“.

Irgendwann dämmerte es auch den Verantwortlichen im Stadion, dass sie ohne Kampfgericht kein Gehen ausrichten können. „Zumindest die Hälfte der Kampfrichter saß ja in Unterhaching fest“, ergänzt der Thüringer. Geschickt wurden im Eiltempo drei Busse, die mit „Polizeieskorte und Blaulicht“ durch ganz München direkt ins Stadion gekarrt wurden. „Sie haben uns sofort auf unsere Posten in diese Wahnsinnsschüssel gebracht.“ Im Nachgang erfuhren sie, dass ein bekannter ZDF-Reporter das Geschehene so kommentierte: „Die Kampfrichter haben ausgeschlafen, wir können jetzt anfangen.“

Das Schönste bei diesen Wettkämpfen ist aber das Beisammensein im Kampfrichterkreis am Abend, wenn sich der Tag dem Ende zuneigt und jeder von seinen Erlebnissen erzählt. „Ich denke da an eine Berliner Veranstaltung zurück, wo wir alle bei schönem Wetter zusammensaßen. Diejenige, die die Bar betrieben hat, hatte für uns noch Stühle organisiert, damit wir draußen sitzen konnten.“ Je nach Aufgabe sorgt der Einsatz auch für Gänsehaut. Das bleibe nicht aus. Groß mit den Stars der Szene in Kontakt käme er im Laufbereich eher weniger. „Die Athleten werden ins Stadion gebracht, dort vom Starterteam übernommen und einsortiert. Ich stehe meist an der Seite, sollst möglich alles sehen und zugleich unsichtbar für die Kameras sein. Dann kommen die Athleten ins Ziel und werden gleich wieder eingefangen und in die Mixed Zone geführt“, erklärt er das Prozedere.

Schicksalhafte Begegnungen

Umso mehr freut er sich, wenn er mal darf, auf Einsätze in den technischen Disziplinen. Wie im Wurf. „Da hast du mit den Leuten direkt zu tun und das macht auch Spaß.“ Oder beim Gehen, wo es nur eine kleine Truppe gibt. In schöner Erinnerung sind ihm dabei die Wettkämpfe in Naumburg geblieben. Einer besonders – der Weltcup im Gehen 2004. „Da hat man mal gesehen, was hinter solch einer Veranstaltung steckt. Obwohl du nur einen Zwei-Kilometer-Rundkurs hast, muss alles wie beispielsweise der Transport der Roten Karten organisiert werden. Es wurde da noch mit einem Backup-System gearbeitet.“ Zudem erlebte er noch einige Jahre Florian Oertel als Sprecher.

Eine weitere schicksalhafte Begegnung verbindet ihn mit seiner Frau Regina. Er lernte sie nämlich bei einem Wettkampf in Bautzen kennen. Sie war als Athletin aktiv. „Wir haben dort ein wenig rumgeflachst. Dann haben wir uns durch Zufall zum Studium in Freiberg wiedergetroffen und zusammengefunden“, erzählt Reinhard Ullrich, der durch seine ehrenamtliche Tätigkeit als Kampfrichter mehr als gut unterwegs ist. Mittlerweile begleitet ihn seine Frau auf seinen sportlichen Reisen. Zuletzt war sie bei den Landesmeisterschaften in Arnstadt für den Callroom eingesetzt. „Wenn du schon ständig mit dem Sport unterwegs bist, dann komme ich mit, damit ich dich am Wochenende mal sehe“, begründete seine Frau ihre Entscheidung zugunsten der ehrenamtlichen Kampfrichtertätigkeit – und das tun sie gemeinsam mit viel Herzblut, Einsatz und großem Engagement.

Serie Kampfrichter (bisher erschienen):

Interview Sascha Mühberger II Interview Hendrik Baumbach II Beitrag Elisabeth Nimz