"...so daß ein gewisser Wagemut dazu gehörte, sich an den Veranstaltungen zu beteiligen."

 

Die Deutsche Sportbehörde für Athletik (DSB), der 1898 gegründete nationale Leichtathletikverband, existierte bereits das sechste Jahr, als im Juli 1904 in Erfurt erstmals eine Thüringer Meisterschaft in der Leichtathletik ausgetragen wurde. Im Rahmen des Endspiels um die Thüringer Fußballmeisterschaft und verschiedener Radrennen wurde der "Meisterläufer von Thüringen" gesucht. Fünf Starter maßen ihre Kräfte über die Strecke von 1000 m, hinzu kam ein 4x100 m Stafettenlauf. Der vorliegende Pressebericht unterstreicht zum einen die "Geburtshelferrolle", die in Thüringen der Fußballsport für die Leichtathletik spielte. Zum anderen verweist die Bemerkung, "daß ein gewisser Wagemut dazu gehörte, sich an den Veranstaltungen zu beteiligen," auf die primitiven materiellen Voraussetzungen, unter denen die Pioniere der Leichtathletik agierten.

 

Die "1. Nationalen Olympischen Spiele des VfB Jena" 1912 - ein "glänzender Erfolg" bei "herrlichem Wetter"

 

Wie der Fußball war seinerzeit auch die Thüringer Leichtathletik im Verband Mitteldeutscher Ballspielvereine (VMBV), mit Sitz in Leipzig, organisiert. Anfangs wurden leichtathletische Übungen nur als Ausgleichssport und Training für das Fußballspiel aufgefaßt. Viele Sieger und Plazierte von Leichtathletikmeetings findet man als Stammspieler in den Fußballmannschaften ihres Vereins wieder. Es gab Beschlüsse über eine Spielpause im Sommer, um die Fußballer zu leichtathletischem Training und Leistungsvergleich zu ermuntern. Am 22. Juli 1906 wurden in Erfurt die ersten offiziellen thüringischen Gauwettkämpfe in der Leichtathletik durchgeführt. Folgende Disziplinen standen auf dem Programm: 100 m, 1000 m, Gehen, Staffellauf, Weitsprung, Dreisprung, Steinstoßen, Fußballweitstoß und Tauziehen. Nach und nach bildeten sich die ersten eigenständigen Leichtathletikabteilungen, z.B. 1907 durch Initiative von Otto R. Helbig, beim SC Weimar. Führender Verein in der Anfangsphase der Thüringer Leichtathletik war der SC Erfurt, dessen beste Vertreter sich bereits mit den leistungsstärksten mitteldeutschen Athleten messen konnten. So gingen 1910 vier von zehn mitteldeutschen Titeln in die Domstadt.

Ihr provinzielles Gepräge legte die Thüringer Leichtathletik kurz vor dem ersten Weltkrieg ab. Der Durchbruch gelang im Jahre 1912 mit den "1. Nationalen Olympischen Spielen der akademischen Abteilung des VfB Jena". Erstmals fand in Thüringen ein Leichtathletiksportfest von nationaler Bedeutung statt. Die Wettkämpfe waren nicht nur erstklassig besetzt. Sie erfreuten sich auch einer großen gesellschaftlichen Wertschätzung, zumal unter den 1600 Zuschauern "auch die besten Gesellschaftskreise sehr zahlreich vertreten" waren. Damit erfüllte das Sportfest auch das Anliegen der Organisatoren, nationalistische Auffassungen vom undeutschen Wesen des modernen Sports und Vorurteile, wonach Sporttreiben zu Sittenverderbnis und Überanstrengung der Jugend führen würde, zurückzudrängen.

 

Als ebenbürtig erwiesen sich die Nationalen Sportfeste 1913 und 1914, mit denen der VfB Jena seinen Anspruch als führender Verein in der Thüringer Leichtathletik bekräftigte. Für sportliche Höhepunkte sorgten 1913 der mehrfache deutsche Meister und Olympiateilnehmer von 1912, Robert Pasemann, der im Stabhochsprung mit 3,79 m neuen deutschen Rekord sprang und im Jahr darauf der finnische Olympiasieger und Weltrekordwerfer Juho Saaristo, der den 1800 anwesenden Zuschauern, darunter der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, sein großes Können präsentierte. Führende Köpfe des VfB Jena waren Oskar Leonhardt und der im ersten Weltkrieg gefallene Eugen Popp.